Autist werden

„If you can’t beat them. Be them…“ ist ein Spruch, den ich erfunden habe als ich wirklich nicht mehr weiterwusste.

Mein Sohn musste zur Kieferchirurgie, um einen Zahn gezogen zu bekommen. Zahnpflege gehört nicht zu seinen Stärken. Zu meinen Stärken gehört es nicht, abends in notwendiger Länge den Kampf zu führen, dass er dennoch Zähne putzen muss.

Mein Schuldgefühl ist grenzenlos.

Wir haben einen Termin zur Vorbesprechung. Ich habe ihm versprochen, dass da nichts gemacht wird. Nur geredet.

Er ist 7 Jahre alt. Noch nie weggelaufen. Doch an diesem Morgen läuft er weg. Er droht es mir erst lange an. Dann tut er es. Er will wirklich nicht zu diesem Termin. Ich verstehe ihn. Aber der Zahn muss wirklich gezogen werden, da die Wurzel vereitert ist.

Als ich bemerke, dass er tatsächlich weggelaufen ist, um dem Termin zu entgehen, brennen so einige Sicherungen bei mir durch. Ich atme nur noch und setze mich fassungslos viel zu früh ins Auto. „Was wenn….?“ läuft in Endlosschleife durch meinen Kopf. Mein Puls rast. Angst. Sorgen. Schlechtes Gewissen. Sie alle hacken auf mir rum und machen mich fertig.

Dann mache ich den Motor an. Er kommt aus dem Garten gelaufen und steigt weinend ins Auto ein.

Ich fahre los.

Kommentarlos.

Schweige die nächsten 10 Minuten.

Ziehe alle meine Ängste in mich hinein. Schlucke die Sorgen und den Puls runter. Erstarre zu einer regungslosen Maske. Er darf nicht sehen, dass er mich mit diesem Stunt an den Rand des Abgrundes gebracht hat.

Ich werde Autist. Zeige keine Emotionen, obwohl sie da sind und merke, dass das manchmal ganz ok sein kann. Es schützt meinen Sohn vor meinem Wutanfall.

Er ist tatsächlich jahrelang nicht wieder weggelaufen. Indem ich nicht reagiert habe, habe ich den größten Eindruck auf ihn gemacht der möglich war.

(Verfasserin S.J.)

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