„Autistische Züge“ als Beleidigung? Wie die Politik zeigt, dass Menschen Autismus immer noch nicht verstanden haben.

Es ist nicht lange her, dass die FDP Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem amtierenden Kanzler Olaf Scholz „autistische Züge“ unterstellt hat. So sagte sie in einem Interview:

„Nach drei Jahren stelle ich fest, dass er geradezu autistische Züge hat, sowohl was seine sozialen Kontakte in die Politik betrifft als auch sein Unvermögen, den Bürgern sein Handeln zu erklären.“

Die erste Frage, die sich stellt, wäre: Na und? Was wäre, wenn wir einen Bundeskanzler mit Autismus hätten? Wo wäre das Problem?

Dass die Verbindung von Autismus mit dem hohen Amt des Bundeskanzlers sich jedoch laut Stracke-Zimmermann auszuschließen scheint, zeigt immer noch ein deutliches Stigma gegenüber Autist*innen.

Die zweite Frage lautet: Wären diese „typisch autistischen Eigenschaften“, sofern sie denn so stereotyp existieren, nicht eigentlich eine Bereicherung? Hätten wir an der Spitze unseres Landes nicht gerne einen Kanzler oder eine Kanzlerin, die/der immer ehrlich ist?

Sind die Eigenschaften von Autist*innen, nicht eigentlich der ultimative Gewinn für ein Land? So berichtet „auticon“, ein Arbeitgeber für autistische Fachkräfte auf der Website von einigen besonderen kognitiven Stärken, wie

– starker logischer und analytischer Fähigkeiten,

– großer Ausdauer und Konzentration,

– Gewissenhaftigkeit und Loyalität,

– einem umfassenden Fachwissen,

– detailliertem Arbeiten und

– ausgeprägtem Qualitätsbewusstsein.

All diese Eigenschaften, die noch längst nicht alle Ressourcen von Autist*innen widerspiegeln, wären doch absolut wünschenswert für einen Kanzler/eine Kanzlerin.

Man könnte nun entgegnen, dass jedoch die Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation ein absolutes K.O. Kriterium wären. Doch auch hier gilt zu bedenken: Sind sie das?

Sind sie das nicht höchstens in einer Welt, die nicht auf „einander verstehen“, sondern auf „auslegen“ ausgerichtet ist?

Ist eine sachlich kommunizierte Botschaft direkt eine schlechte, in Zeiten, in der Polemik und Emotionalität die politische Landschaft beherrscht?

Und vor allem: hat nicht jeder Mensch individuelle Schwächen, doch nur bei neurodivergenten Menschen werden sie als Hindernis für bestimmte Ambitionen gesehen?

An alle Autist*innen soll nun gerichtet werden:

Seid euch bewusst, was ihr für unglaubliche Fähigkeiten habt! Lasst euch nicht hemmen, nach großen Zielen zu greifen!

Strack-Zimmermann hat sich inzwischen entschuldigt – nicht bei Olaf Scholz, sondern bei der autistischen Gemeinschaft.

Denn auch ihr muss klar geworden sein: Autist ist keine Diffamierung. Autist*in zu sein qualifiziert für unzählige Jobs – auch zum Bundeskanzler.

L.

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